Mag. Lukas Cioni
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miteinander 3-4/2025
Als Kind blätterte ich fasziniert in Ihren Büchern über Körpersprache und staunte, nun endlich die Erwachsenen entschlüsseln zu können. Ist es wirklich so einfach, Mimik und Gestik zu verstehen?
Körpersprache ist Geschichtenerzählen. Jede Bewegung hat eine spezifische Funktion, die ihre eigene Aussage in der Geschichte hat. Eigentlich ist es klar, doch die Interpretationen der Menschen sind kompliziert. Wenn ich jetzt auf deinen Pullover schaue, sagst du vielleicht: „Oh, gefällt er dir?“ Jemand anderer sagt: „Oh, siehst du einen Fleck bei mir?“ – Je nachdem, welche Beziehung man zueinander hat oder wie man aufgewachsen und geprägt ist, interpretieren Menschen Mimik und Gestik anders.
Wie kamen Sie darauf, dass keine Bewegung zufällig ist?
Als Kind saß ich oft an der Straßenecke – weil ich mir nicht immer eine Limonade im Kaffeehaus leisten konnte – und beobachtete Menschen. Anhand ihres Ganges und ihrer Körperhaltung dachte ich mir Geschichten aus: Wie fühlt sich dieser Mensch, woher kommt er, was hat er dort erlebt, wohin geht er? Schon mit zehn Jahren spielte ich Theater und bekam diese Aufgaben gestellt. Später als Pantomime mussten meine Bewegungen noch präziser sein, weil ich nichts durch ein Wort mitteilen konnte.
Ihre Bücher über Körpersprache wurden in 12 Sprachen übersetzt. Sind Mimik und Gestik überhaupt international verständlich?
Ja. Es gibt die biologische Körpersprache. Jedes Körperteil hat seine Funktionen – diese aktivieren wir je nach Bedarf. Gefühle sind Informationen, die sich melden, wenn es im Körper oder in der Seele Bedürfnisse oder Notsituationen gibt wie Hunger, Durst, Angst, Ekel. Sie bringen mich in Bewegung und zwingen mich durch die Aktion das Bedürfnis zu stillen. Du kannst zwar versuchen, Gefühle zu unterdrücken, und gerade die ältere Generation ist noch so erzogen worden, aber irgendwo im Körper werden sich die Emotionen immer zeigen. Diese Sprache ist universell verständlich. Dann gibt es jedoch Zeichen, die sich je nach Kultur und Zeit unterscheiden und als Abmachung innerhalb einer Gruppe gelten: Wenn wir in Österreich den Daumen mit einer kleinen Bewegung nach oben hochstrecken, um „ok“ zu signalisieren, ist das in anderen Kulturen beleidigend. (streckt den Mittelfinger hoch)
Also wie wenn wir den Mittelfinger zeigen?! Manche Menschen scheinen kein Gefühl für ihren Körper und dessen Wirkung zu haben. Bei einem Gespräch kommen sie zum Beispiel immer näher, ohne zu merken, dass ihr Gegenüber zurückweicht. (Samy Molcho steht auf, macht kleine Schritte auf Ines Schaberger zu)
Wann wäre ich Ihnen zu nahe?
Stopp – das wäre nahe genug. (Blitzschnell holt Molcho zu einem Faustschlag aus – seine Faust bleibt wenige Zentimeter vor Schabergers Gesicht stehen).
Sie empfinden genau die Distanz meiner Armlänge plus ein paar Zentimeter Sicherheitsabstand als genug nah. Dieser Selbstschutz funktioniert bei den meisten Menschen. Wer näher kommt, möchte entweder Territorium markieren oder braucht Zuneigung. Bei Letzterem kommt derjenige in einen Teufelskreis: Menschen weichen zurück, seine Not vergrößert sich und er kommt wieder näher.
Wie reagieren Sie, wenn Ihnen jemand zu nahe kommt?
Ich erfinde eine Ausrede wie „Mir wird schwindelig, wenn du so nahe kommst“. Ich drehe mich,
sodass wir einander nicht mehr direkt gegenüberstehen, sondern seitlich. Oder ich schicke den anderen weg und bitte ihn, etwas für mich zu tun – so verdient er es sich langsam, in meinen engeren Kreis zu kommen.
Meistens kommuniziere ich am Smartphone, etwa auf Whatsapp. Bei dieser Form der Kommunikation fällt die Körpersprache weg und es kommt zu Missverständnissen. Ist das ein Problem meiner Generation?
Deswegen habt ihr die Emojis erfunden. Die kleinen Figuren und Gesichter können die Körpersprache ersetzen, weil sie die Gemütslage zum geschriebenen Text hinzufügen.
Wie kann ich abgesehen von Emojis besser kommunizieren, wenn die Körpersprache fehlt?
Geben Sie den Gefühlen in Ihrer Sprache mehr Gewicht. Denn diese bewegen uns, nicht die Vernunft. Wenn ich in meiner Sprache mehr offene Emotionen zeige, helfe ich der anderen Person, sich auch zu öffnen.
Samy Molcho
ist österreichisch-israelitischer Pantomime, Autor und gibt, als Kommunikationsexperte in Seminaren Einblicke in die Wirkung der Körpersprache.