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Wege zur Versöhnung

Glaube zwischen Schuld und Vergebung

Fragen von Schuld und Vergebung rütteln nicht nur an den Grundfesten zwischenmenschlicher Beziehungen, sondern zutiefst auch am Gottesverhältnis des Menschen.

 

Der Fall Lars Koch beschäftigt gegenwärtig Deutschland. Der Major der deutschen Luftwaffe steht seit Herbst 2015 wegen des Abschusses eines Lufthansa-Jets vor Gericht. Das Linienflugzeug war von einem Terroristen entführt worden, um es in die "Allianz-Arena" in München stürzen zu lassen. Kochs Abschuss rettet 70.000 Stadienbesucher – und tötet 164 Passagiere. Welches Urteil ist über Koch zu fällen?

 

Auch wenn der Fall fiktiv ist – er bildet den Nukleus von Ferdinand von Schirachs Theaterstück Terror –, die damit verbundenen Fragen sind es nicht. Sie kreisen um Fragen von Schuld und Vergebung: Wie verhalten sich moralische und juristische Schuld? Welche Gesichtspunkte sind für ein Urteil ausschlaggebend? Was bedeutet ein etwaiger juristischer Freispruch, wenn etwa Eltern getöteter Passagiere Koch nicht vergeben – hat ihr Urteil mehr Gewicht als das der Richter? Und wer könnte hier überhaupt als Richter, als letztverbindliche Autorität, auftreten?

 

Für die Reflexion auf das Motivensemble Schuld und Vergebung scheint ein solches Dilemma auf den ersten Blick nur bedingt hilfreich: Wer lebt schon ständig im moralischen Ausnahmezustand? Vielleicht lässt sich aber umgekehrt die Wirklichkeit von Schuld und Vergebung gerade da angemessen verstehen, wo damit verbundene Fragen überdeutlich zum Vorschein kommen – gleichsam im Dilemma als Brennglas.

 

Theologische Unruheherde

 

Wie dem auch sei: Fraglos sind Schulderfahrungen und Versöhnungssehnsüchte auch abseits von Extremsituationen existentiell und intellektuell herausfordernd. Sie sind es auch für den Glauben: Papst Franziskus erinnert immer wieder daran, dass Glaube kein Schutzraum gegen das ist, was Menschen umtreibt, erfreut, zittern lässt. Auch der Glaube ist immer wieder neu von Erfahrungen der Schuld und Problemen der Vergebung angefragt und in Unruhe versetzt. Freilich, es ist eine Unruhe, die den Glauben auch zu dynamisieren vermag und im besten Fall Lernprozesse initiiert. Einige Unruheherde, die die Reflexion auf Schuld und Vergebung in der systematischen Theologie beschäftigen, seien im Folgenden exemplarisch nachgezeichnet.

 

Wer in einem christlichen Kontext von Schuld sprechen will, kommt um die Sünde nicht herum. Die beiden Begriffe sind nicht weniger komplex als ihre Zuordnung, aber als ein Kern der eigenen Glaubenstradition darf folgende Einsicht gelten: Wer am anderen schuldig wird, versündigt sich auch gegen Gott. Zwischenmenschliche Schuld trägt ein Moment von Unbedingtheit in sich, die gewissermaßen an Gott selbst heranreicht und gleichsam die Gottesbeziehung eintrübt. Das Unrecht der Täter, das Blut der Opfer schreit nach Gott.

 

"Wer am anderen schuldig wird, versündigt sich auch
gegen Gott. Zwischenmenschliche Schuld trägt ein Moment
von Unbedingtheit in sich, die an Gott selbst heranreicht
und die Gottesbeziehung eintrübt. Das Unrecht der Täter,
das Blut der Opfer schreit nach Gott."

 

Die Verbindung ist keineswegs einseitig: Nicht nur reicht das Problem von Recht und Unrecht an Gott, sondern der Gott Israels offenbart sich umgekehrt unwiderruflich in diese Konstellation eingetragen. Rechte Gottesbeziehung kann folglich niemals von Fragen nach Recht und Gerechtigkeit, folglich auch von Problemen der Schuld und möglicher Vergebung abgelöst werden – der deutsche Sozialphilosoph Jürgen Habermas schreibt diesbezüglich von einer "Moralisierung von Heil und Unheil, mit der das Judentum den Mythos überwindet".

 

Die Stärke dieser Entmythologisierung ist nicht jenseits ihrer ambivalenten Geschichte zu bestimmen: So hat der Theologe Johann Baptist Metz eindrücklich darauf hingewiesen, wie rasch das Christentum besonders im Westen schuld- und sündenfixiert und damit zugleich leidunsensibel wurde – Gott blieb zwar weiterhin auf Konfigurationen von Recht und Unrecht bezogen, diese wurden aber auf das Problem individuellen Unrechts und Schuld bezogen. Dies prägt wesentlich das Verständnis des Erlösungsgeschehens: Im Kreuz bricht Gott die Macht der Sünde und bietet dem Menschen Sühne und Vergebung an.

 

Mitschuld des Schöpfers?

 

Heute gerät dieser Ansatz zusehends in Erklärungsnot. Zwei Brennpunkte seien kurz umrissen, die sich mit Aufklärung und Moderne in die Reflexionen auf Schuld und Vergebung einschreiben:

 

Den ersten Brennpunkt bildet das Motiv der Stellvertretung: So wird der Gedanke zusehens unplausibler, ein anderer könne stellvertretend für meine Schuld einstehen. Schuld in moralischen Kontexten, so Kant, „ist keine transmissible Verbindlichkeit [wie etwa Geldschuld], … sondern sie ist die allerpersönlichste, nämlich eine Sündenschuld, die nur der Strafbare, nicht der Unschuldige … tragen kann.“ Brüchig wird die Idee der Stellvertretung auch dort, wo man - leichtfertig - von Versöhnung spricht, ohne die Schuld der Täter zu thematisieren. Kann Gott tatsächlich dem Täter gleichsam über den Kopf des Opfers hinweg vergeben und den Himmel zusagen und somit gewissermaßen für eine letzte Harmonie sorgen, auch wenn das Opfer nicht zu vergeben vermag? Ist der Gedanke einer solchen quasi stellvertretenden Vergebung durch Gott dem Opfer gegenüber zynisch? Braucht das himmlische Gastmahl nicht wesentlich auch die Versöhnung zwischen den Gästen?

 

Den zweiten Brennpunkt bildet das Motiv der Theodizee: In der Frage nach der Schuld des Menschen geht es spätestens mit der Moderne auch um die mögliche Mitschuld des Schöpfers an einer Schöpfung, die solch horrende Schuldgeschichten überhaupt zulässt. Gott ist hier nicht bloß der Richter oder Mediator, der zwischenmenschlich Versöhnung vermittelt, sondern er sitzt gleichsam mit auf der Anklagebank. Hier ist von Schirachs Dilemma sprechend: Das Szenario spiegelt keine Ausnahmesituation, sondern in ihm blitzt die Realität einer Welt auf, in der man nicht anders kann, als aneinander schuldig zu werden.

 

Geschenk der Gnade

 

Die theologische Verarbeitung dieser Unruheherde ist keineswegs abgeschlossen. Gerade ihre Komplexität darf freilich das Bemühen um klare Positionierungen in diesen Frageensembles nicht desavouieren. Was wären mögliche Fluchtlinien?

 

In den Augen Gottes ist das Opfer mehr als sein Stigma – seine Identität geht nicht darin auf. Gleiches gilt freilich auch für den Täter, der ebenfalls mehr ist als seine Tat: Der Menschen mag zum Mörder werden, aber auch der Mörder ist immer noch Mensch, so eine Einsicht der Geschichte Kains. Schuld ist folglich bittere Realität, aber sie ist eine, von der der Glaube hofft, dass sie nicht das letzte, entscheidende Wort über uns hat. Diese Hoffnung ist letztlich praktisch – sie erschließt sich nicht spekulativ, sondern in einer Praxis, die Schuld zwar nicht leugnet, aber Menschen nicht darauf fixiert.

 

Und diese Hoffnung – sei sie anonym, sei sie explizit – ist zugleich irritierend: Sie lebt aus dem Vertrauen auf die reale Möglichkeit, andere und sich selbst nicht auf vergangenes Unrecht zu fixieren oder fixieren zu müssen und tatsächlich neu miteinander beginnen zu können. Solche Versöhnung ist nicht erzwingbar, emotional nicht inszenierbar – sie ist die Erfahrung von Gnade im strengen Wortsinn: ein Moment, den Christen als Geschenk deuten und als Zuwendung Gottes dechiffrieren.

 

Martin Dürnberger

 

Martin Dürnberger ist Assistenzprofessor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Universität Salzburg. Seit 2015 ist er außerdem Obmann der "Salzburger Hochschulwochen"

 

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe Oktober/November

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