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Mag. Lukas Cioni

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Welt in Bewegung

Dem rasenden Stillstand entkommen

Viele Menschen fühlen sich angesichts einer rasenden Zeit überfordert. Ihnen droht die Welt zu verstummen. Doch ist Entschleunigung ein Ausweg?

 

 

Herr Prof. Rosa, es gehört inzwischen in der Berufswelt fast schon zum "guten Ton", gestresst zu sein und einen vollen Terminkalender zu haben. Andererseits mehren sich die Klagen über eine rasende Zeit, über Zeitmangel, über das enorme gesellschaftliche Tempo. Lässt sich eigentlich ein Zeitpunkt festmachen, ab dem Beschleunigung zum Problem wurde?

 

Diesen Punkt gibt es nicht im Sinne einer Jahreszahl, wohl aber gibt es meines Erachtens einen Umschlagpunkt. So trägt Beschleunigung und Dynamisierung – sei es im technischen Bereich, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft etc. – ja prinzipiell ein großes Versprechen in sich; nämlich das Versprechen, dass die Welt unter dem Eindruck von Innovation und Optimierung eine bessere wird. Dieses Versprechen hat bis ins 20. Jahrhundert hinein gegolten. Der Umschlagpunkt ist nun erreicht, wo wir sehen, dass diese Beschleunigung und Optimierung nicht mehr dazu da ist, damit Dinge besser werden, sondern wo der Sinn der Steigerung nurmehr darin liegt, den Status quo zu erhalten. Steigerung zum Zweck des Systemerhalts. Das habe ich mit dem Begriff des "rasenden Stillstands" zu beschreiben versucht.

 

Aber kann man nicht auch das Loblied auf die Beschleunigung anstimmen, insofern sie das Leben bereichert, spannender, lebendiger macht…?

 

Natürlich, es geht mir bei der Beschreibung des Phänomens der Beschleunigung ja nicht um eine simple Gegenüberstellung nach dem Motto Beschleunigung: böse – Entschleunigung: gut. Überhaupt ist mir das Loblied auf die Entschleunigung immer suspekt geblieben. Die Welt ist Welt in Bewegung. Das entspricht unserer Vorstellung von Freiheit und Glück. Bewegung eröffnet Möglichkeitsräume. Und selbstverständlich verdanken wir den Beschleunigungs- und Optimierungsprozessen zu großen Teilen unseren Wohlstand.

 

Viele Menschen setzen angesichts der rasanten Geschwindigkeit ganz bewusst auf Entschleunigung. Was haben Sie dagegen? Worin besteht Ihr Vorbehalt?

 

Ich halte es für eine große Illusion zu meinen, wir könnten alles so lassen, wie es ist, und einfach nur langsamer machen. Wachstum und Wettbewerbsverschärfung sind zwingend miteinander verknüpft und lassen sich nicht durch Meditation, wochenendliche Waldspaziergänge oder bewusstes Musikhören durchbrechen. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass Langsamkeit kein Selbstzweck ist. Es geht ja den Verteidigern der Entschleunigung nicht darum, dass alle Prozesse tatsächlich langsamer werden. Es würde häufig nur nerven, wenn Dinge plötzlich wirklich langsamer abliefen. Ich glaube aber, dass hinter der Sehnsucht nach dem, was als Entschleunigung bezeichnet wird, ein wichtiger, wahrer Kern steckt: Worauf Entschleunigung nämlich zielt, ist eine andere Art, in der Welt zu sein, mit den Dingen und den Menschen in Kontakt zu treten.

 

Sie machen also eine Sorge, ja Angst bei viele Menschen im Blick auf ihr Verhältnis zur Welt aus – und darauf suchen viele eine Antwort in Entschleunigung…

 

Ja, ich glaube in der Tat, dass es eine der großen Ängste unserer Zeit ist, dass uns die Welt verstummt; dass es uns nicht mehr gelingt, einen Resonanzdraht zur Welt aufzuspannen; dass uns Menschen fremd werden und wir die Eigenschaft verlieren, intensiv das Leben zu spüren; dass wir immer stärkere Kicks brauchen, damit uns überhaupt noch etwas erreicht. Der Radikalzustand dieser Art Entfremdung heißt Burnout – das Verstummen aller Resonanzachsen. Diese Sorge treibt viele Menschen heute um.

 

Also hat Entschleunigung – und wenn Sie nur in der abendlichen Spazierrunde durch den Wald nach getaner Arbeit besteht – doch etwas für sich…

 

Ich habe nicht prinzipiell etwas dagegen, dass man sich solche "Entschleunigungs-Oasen" im Alltag sucht. Worauf ich aber hinaus will, ist der Punkt, dass Entschleunigung selbst zu einer Art Beschleunigungstechologie zu werden droht. Anders gesagt: Diese Oasen der Entspannung vom rasenden Alltag, diese Phasen der Langsamkeit, verdanken sich rein der Logik der Beschleunigung und sie versetzen das Individuum in die Lage, diese Beschleunigungsprozesse im täglichen Leben zu ertragen, ja, noch weiter zu forcieren, anstatt sich die Frage zu stellen, ob das System an sich nicht verändert werden müsste. Anders gesagt: Dieses Pendeln zwischen Entschleunigungs-Oasen und Beschleunigung im Alltag scheint mir kein Ausdruck eines gelungenen persönlichen Weltverhältnisses zu sein.

 

Auf der Suche nach einem eben solchen gelingenden Weltverhältnis haben Sie den Begriff der Resonanz eingeführt. Wenn Beschleunigung das Problem ist, ist vielleicht Resonanz die Antwort, schreiben Sie in Ihrem neuen Buch. Das klingt ja fast ein wenig esoterisch…

 

Tatsächlich grenze ich mich in dem Buch betont von einer solchen Deutung ab – auch wenn viele esoterische und religiöse Sehnsüchte davon getrieben sind, Welt auf eine andere, tiefere Art zu erfahren, anders mit ihr in Beziehung zu treten. Ich verstehe Resonanz als eine ganz säkulare Erfahrung, die auch religiös unmusikalische Menschen teilen können. Es geht um die Sehnsucht nicht nur nach gesellschaftlicher Anerkennung, sondern darum, den Panzer der Verdinglichung zu durchbrechen.

 

Und wo dieser Panzer durchbrochen wird, wird die Welt als "resonant" erfahren…

 

Ja, manche Menschen machen Resonanzerfahrungen in der Natur, andere in der Musik, wieder andere vielleicht im Gottesdienst. Resonanz meint dabei eine Form des In-Beziehung-Tretens zur Welt. Resonant ist eine solche Beziehung allerdings erst – wie das Wort schon sagt –, wenn das Gegenüber zu mir spricht, mich anspricht, berührt – und wenn ich ihm antworten kann.

 

Das klingt nach einem romantischen Konzept...

 

Tatsächlich war es die Romantik, in der diese Sehnsucht ausbuchstabiert wurde, in der eine radikale Kritik am Verdinglichungskonzept formuliert wurde. Auch unsere heutige religiöse Auffassung ist im Übrigen stark von der Romantik geprägt. Aber Resonanzbeziehungen entstehen auch im sozialen, zwischenmenschlichen Bereich. Etwa in Liebesbeziehungen oder in Freundschaften. Aber – um an Ihre erste Frage anzuschließen – es hat sicherlich nie eine Zeit gegeben, die an sich resonant war. Wir sehen massive Verdinglichungs- und Entfremdungsverhältnisse, wann immer wir auf Geschichte blicken. Insofern glaube ich, dass die Idee der Resonanz so etwas wie ein Leitstern sein könnte, eine Art regulative Idee, die uns eine Kritik an den bestehenden Weltbeziehungen ermöglicht.

 

Kann man solche "resonante Weltbeziehungen" auch gesellschaftspolitisch fördern?

 

Zunächst ist das natürlich ein Geschehen auf personaler Ebene, wo es um individuelle Einstellungen, um Offenheit, auch um Verletzlichkeit geht. Aber ich glaube schon, dass man auch politisch darauf hinwirken sollte, dass das, was uns in Entfremdung zwingt, überwunden wird. Und da wäre Resonanz eine Art Kompass, etwas, wo viele Menschen hindrängen, ohne bereits den konkreten Weg vor Augen zu haben.

 

Ist Resonanz nicht einfach nur ein anderer Begriff für das schöne alte Wort "Muße"?

 

Ich glaube, dass Muße ein Konzept ist, das in seiner ursprünglichen Bedeutung – etwas, das sich einstellt, wenn das Tagwerk vollbracht ist – nicht mehr funktioniert. Denn ich kann zwar nach getaner Arbeit etwa in den Biergarten gehen und dabei bewusst das Smartphone zu Hause lassen. Aber ich weiß doch immer noch, dass ich – wenn ich das Telefon dabei hätte – noch Email checken könnte, Anrufe tätigen könnte, Termine absprechen könnte etc. Das Problem ist, dass meine To-do-Listen mir damit sozusagen in den Biergarten nachlaufen. Muße zu leben wird also in einer der Beschleunigung unterworfenen Welt immer schwieriger, vielleicht gar verunmöglicht.

 

Sie haben mehrfach den Begriff der Entfremdung verwendet – diesen könnte man doch wieder so verstehen, als habe es einmal eine Zeit gegeben, in der wir in resonanten Verhältnissen gelebt haben. Und inzwischen ist etwas aus dem Tritt geraten…

 

Entfremdung ist ein komplexer Prozess. Ich möchte den gar nicht nur negativ betrachten; er ist in gewissem Sinne sogar notwendig. Ein Embryo etwa lebt in einem intensiven Resonanzverhältnis mit seiner Mutter. Die Geburt als Trennung ist eine erste Form der Entfremdung. Dann entdecke das Baby irgendwann seine Stimme als ein Resonanzinstrument, mit dem es Nahrung und die Mutter herbeirufen kann. Die Welt antwortet ihm wieder, wird resonant. In der Pubertät entfremdet sich der Jugendliche abermals – von der Familie, vom eigenen Körper. Und dann schließlich findet man irgendwann seine eigene Stimme, dann eignet man sich selbst Welt an. Anders gesagt: Entfremdung hat auch positive Seiten, da sie den Menschen zur Mündigkeit führt.

 

Von Adorno stammt das bekannte Zitat "Es gibt kein richtiges Leben im falschen". Würden Sie dieses Zitat unterschreiben, oder gibt es ein "richtiges Leben", wenn es mir nur gelingt, meine "Resonanzachsen" in Bewegung zu halten?

 

Ich halte das Zitat weiterhin für richtig, denn man kann ein strukturelles gesellschaftliches Problem – jenes der alle Lebensbereiche erfassenden Beschleunigung und Effizienzsteigerung – nicht durch Gelassenheit oder ein besseres Zeitmanagement in den Griff kriegen. Der Begriff der Resonanz besagt schließlich, dass es nie nur um eine Einbahnstraße, nie nur um mich geht, sondern immer um ein Beziehungsgeschehen. Die Demokratie ist übrigens die politische Ausdrucksform der Resonanzsuche: Demokratie bedeutet nämlich, dass wir Welt nicht allein gestalten können, dass wir darauf angewiesen sind, dass uns Welt und Menschen antworten – und Demokratie bedeutet dieses Versprechen: dass meine Stimme Gewicht hat, dass sie nicht verhallt.

 

Die demokratische Krise, die in den rechten, anti-demokratischen Protestbewegungen zum Ausdruck kommt, ist also auch ein stückweit Folge einer gestörten Resonanzbeziehung zwischen Bürger und Staat?

 

Ja, ich bin überzeugt, dass die Proteste von Pegida bis AfD aus genau diesem Gefühl heraus kommen – dass herkömmliche Politik mir nicht mehr antwortet. Dann kommt es zu diesen extremen Protestformen, die nicht auf Resonanz zielen, sondern auf Echo, auf das Stummstellen der anderen – der Ausländer, der Schwulen etc. Und dann geht es auch nicht mehr darum, dass meine Stimme gehört wird, dass sie Resonanz findet, sondern nurmehr darum, dass sie aufgeht in dem einen großen, lauten Chor.

 


 

Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Direktor des Erfurter Max-Weber-Kollegs.

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