• Ausgabe 4 / 2015

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Unsere Themen im Jahr 2015

Die eigene Schatzkiste öffnen

Gastbeitrag von Thomas Götz

 

 

Es war eine Katholikin, der wir den trefflichen Rat verdanken: "Liebe Herren Bischöfe, schauen Sie zuerst ins Wohnzimmer und nicht ins Schlafzimmer." Als Expertin zur Bischofssynode nach Rom geladen, nützte sie die einmalige Chance, an kompetenter Stelle einen Perspektivenwechsel vorzuschlagen. Ganz neu ist die Idee nicht. So etwas Ähnliches hat auch Papst Benedikt XVI. in seiner Jesus-Trilogie geschrieben. Die im 19. Jahrhundert begonnene Verengung der Kirche auf Moraltheologie, insbesondere Fragen der Sexualmoral, sollte ein Ende haben, riet der Theologe auf dem Papstthron. Geändert hat es nichts, weil eingeübte Gewohnheiten so schnell nicht zu ändern sind.

 

Viel von dem eher spröden Image, das viele Menschen mit dem Wort Kirche verbinden, kommt von diesem thematischen Tunnelblick. Alles, was Kirche sonst noch ist oder sein könnte, verschwindet im Schatten monoton wiederholter Regeln für das Sexual- und Familienleben der Gläubigen. Nicht dass der Geschlechtstrieb kein wichtiger Teil des Lebens wäre. Aber der Dreh- und Angelpunkt unserer Existenz ist er nur nach Ansicht Sigmund Freuds. 

 

Antwort auf "metaphysisches Vakuum"


Was Mittelpunkt der Kirche und ihr Kernangebot an Gläubige und Sucher sein müsste, formulierte indirekt der türkische Soziologe Kenan Güngör im Gespräch mit der Tageszeitung "Der Standard". Anders als die meisten Kollegen sieht er den Grund für die Radikalisierbarkeit jugendlicher Muslime primär nicht in Armut oder Ausgrenzung, sondern in dem, was er "metaphysisches Vakuum" in unserer Gesellschaft nennt: "Jugendliche suchen nach Sinn, Halt und Orientierung in einer für sie sinn- und orientierungsentleerten, diffusen Welt." In diese Leere stoßen Salafisten und andere radikale Gruppen hinein, sagt Güngor: "Sie bekommen nun das Angebot für soziale Wärme, Anerkennung und Aufgehobensein in einer absoluten Gemeinschaft mit absoluter, über allem stehender Wahrheit und Mission."

 

Das wird die Kirche so nicht sein können, auch hoffentlich nicht wollen. Absolute, jeden Zweifel aushebelnde Sinnangebote sind suspekt, auch wenn sie christlich unterfüttert sind. Aber den Kern dessen, was diese Jugendlichen – und letztlich auch die Erwachsenen – suchen, hat Güngör scharf erkannt, weit über die Grenzen seiner Kultur hinaus: Gemeinschaft, Wahrheit, Mission – diese Worte sind dem Christentum nicht fremd. Aber wo kommen sie zur Sprache, wo kann man sie spüren, auf nicht sektiererische, unaggressive Art? 

 

Das Eigene wiederentdecken


Es wäre ja alles da: raffinierte und schlichte Theologie, Meditationstechniken vom Psalm bis zum Rosenkranz. Rituale aller Art, die Menschen wieder auf die Mitte hin ausrichten können. Die kirchliche Musik füllt Konzertsäle und sogar mit spröder Gregorianik lässt sich auf dem Plattenmarkt prächtig Geld verdienen. Dass diese schlichte, raffinierte Kunst in unseren Klöstern oder Pfarren besonders liebevoll gepflegt würde, wäre mir neu. Dafür dröhnt sie durch die Popmusik. Es genügte, die Schatzkiste zu öffnen und das Eigene wiederzuentdecken.

 

Schülerinnen und Schülern, die unsere Redaktion besuchen, zeigen oft ein ausgeprägtes Interesse an historischen Themen. Eine Religion als historischer " big player" kann daran anknüpfen. Gefühligkeit allein genügt nicht, sie trägt nicht weit. "Orientierung in einer sinn- und orientierungsleeren, diffusen Welt", wie Güngör formuliert, kann eine Gemeinschaft mit so tiefen historischen Wurzeln wie sie die katholische Kirche hat, leichter geben als jeder Konkurrent. Sie muss es sich nur zutrauen – und trauen.

 

Und die Freude, das Lachen, das Nietzsche bei den Christen so vermisst hat? Das kommt dann schon. Als Zugabe sozusagen.

 


 

Dr. Thomas Götz ist seit 2006 stellvertretender Chefredakteur der Kleinen Zeitung in Graz. Zuvor war er stellvertretender Ressortleiter des Nachrichtenressorts der Berliner Zeitung.

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