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Eine wiederentdeckte Heilige

Inklusin Wiborada von St. Gallen

Sie ist die erste heiliggesprochene Frau der Kirche: Wiborada von St. Gallen. Zehn Jahre lang lebte sie freiwillig eingeschlossen. Heute entdecken Menschen die eigensinnige Inklusin und ihre Bedeutung neu.

Von Ines SCHABERGER

 miteinander 5-6/2025

miteinander-Magazin 5-6/25

Welche Wahl hatte eine Frau im Frühmittelalter? Sie konnte heiraten und ins Eigentum ihres Mannes übergehen oder sich für ein Leben im Kloster entscheiden. Wiborada, eine Adelige aus dem Toggenburg, wählte eigensinnig und selbstbewusst einen dritten Weg: Als sogenannte Inklusin lebte sie ab dem Jahr 916 freiwillig eingeschlossen in einer Klause bei der St. Man- genkirche in St. Gallen. Kritiker mögen einwenden, dass dies doch kein Leben in Freiheit gewesen sei, doch ermöglichte es Wiborada, über ihren Körper wie über ihren Tagesablauf frei zu verfügen.

 

„Weiberrat“ und Märtyrerin
Durch ein Fenster, das auf die Kirche schaute, feierte sie Gebete und Liturgien. An einem zweiten Fenster, das zur Stadt ging, empfing und beriet sie Benediktinermönchedes St. Galler Klosters, Adel, Klerus und das einfache Volk. So wurde ihr Name – „Weiberrat“ – Programm. In einer Vision soll sie einen bevorstehenden Einfall der Ungarn in St. Gallen gesehen haben. Sie warnte den Abt, der die Bevölkerung, den Klosterschatz und die Stiftsbibliothek in Sicherheit bringen ließ. Wiborada weigerte sich, ihre Zelle zu verlassen, und wurde 1026 erschlagen. Während bald nach ihrem Tod eine große Verehrung als Märtyrerin und als Patronin
der Bibliotheken einsetzte und Papst Clemens II. sie 1047 als erste Frau heiligsprach, geriet sie im Zuge der Reformation in Vergessenheit – bis jetzt.

 

Auf Wiboradas Spuren
Ein Bett, ein elektrischer Ofen und eine mobile Toilette: Die Zelle, die ein ökumenisches Projektteam 2021 aus Holz nachbauen ließ, ist trotz ihrer Kargheit komfortabler als das unbeheizte Loch, in dem Wiborada hauste. Fünf Personen leben jeweils im April und Mai für je eine Woche als Inklusin oder Inkluse und spüren so Wiborada von St. Gallen nach. „Sie werden seelsorgerlich begleitet und von der Bevölkerung mit Wasser und Nahrung versorgt“, sagt Projektinitiantin Hildegard Aepli. Einer, der sich 2025 freiwillig einschließen lässt, ist der 42-jährige Tim Mahle. Er erzählt, dass er großen Respekt davor habe, eine Woche ohne gewohnte Tagesstrukturen und mediale Zugänge zu verbringen. „Mein Handy ist nicht nur mein Kommunikationskanal, sondern auch mein Terminkalender, mein Notizbuch und meine Arbeitsgrundlage“, sagt der reformierte Pfarrer. Seine To-do-Listen beiseite zu legen, werde nicht einfach sein. Frei von Ablenkungen und Störungen des Alltags, möchte er zur Ruhe kommen. Tim Mahle wird zweimal täglich das Fenster zur Stadt öffnen. Im vergangenen Jahr besuchten mehr als 1000 Menschen das offene Zellenfenster – neben Schulklassen und Gruppen auch Einzelpersonen, die zum Teil Schlange standen. Im Unterschied zu Wiborada geben die heutigen Inklusinnen und Inklusen keine Ratschläge, sondern hören aufmerksam zu – und versprechen, für die Anliegen der Menschen zu beten.

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Unerhört Neues gewagt
Da die Wiborada-Viten berichten, dass die Inklusin Brot gesegnet und weitergeschenkt habe, verteilen auch die aktuellen Bewohnenden gesegneten Striezel. Kirchenhistoriker Gregor Emmenegger ist sogar davon überzeugt, dass „Wiborada eine wie auch immer geartete Eucharistie feierte“. So heißt es in der Vita I, 23: „Sie war gewohnt, das Opfer darzubringen.“ In einem wissenschaftlichen Sammelband über Wiborada zeigt er auf, warum es möglich ist, dass Wiborada Liturgien abhielt. Gemäß der deutschen Benediktinerin Philippa Rath habe Wiborada „die ihr zukommende weibliche Geschlechterrolle in der Kirche immer wieder überschritten und damit Neues, ja Unerhörtes gewagt“. In einer Rede in der St. Galler Stiftsbibliothek bezeichnete sie Wiborada als „Identifikationsfigur und Vorbildgestalt für all die Frauen heute, die sich nicht länger damit abfinden wollen, dass ihnen das Priesterinnen- und Diakoninnenamt weiter vorenthalten wird“. 

 

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Identifikationsfigur

Jedes Jahr am 2. Mai, dem Wiboradatag, pilgern Menschen daher in die Ostschweiz für eine geschlechtergerechte Kirche. Zuletzt schafften es zudem Studierende der Universität St. Gallen, dass einer der Räume, die bisher ausschließlich Namen von Männern, Bergen und Banken trugen, nach Wiborada benannt wird. So wird die Heilige immer mehr aus der Vergessenheit geholt und ihr der Platz in der Geschichte gegeben, der ihr gebührt.

 

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