Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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miteinander 5-6/2025
Dass es Gegenwind geben würde, war Papst Franziskus vermutlich von Anfang an klar, als er der Weltkirche einen der wohl größten Reformprozesse verordnete, die diese in den vergangenen zweitausend Jahren zu durchlaufen hatte. Dennoch „wagte er zu träumen“, um den Titel eines 2020 erschienen Gesprächsbands aufzugreifen, der für mich ein Schlüssel zum Verständnis der synodalen Agenda des Papstes geworden ist. Eröffnet wird das Buch mit einer Zeitdiagnose (verfasst unter dem Eindruck der COVID-Pandemie), die analog wohl auch auf die Situation der Kirche anzuwenden ist: „Ich sehe diese Zeit als eine Stunde der Wahrheit. […] Die eigenen Kategorien und Denkweisen werden erschüttert, deine Prioritäten und dein Lebensstil werden herausgefordert. Du überschreitest eine Schwelle, entweder durch deine eigene Entscheidung oder zwangsweise, denn es gibt Krisen wie die, durch die wir gerade gehen, die du nicht vermeiden kannst. […] Die Grundregel einer Krise ist, dass du nicht genauso herauskommst, wie du hineingegangen bist. Wenn du sie überstehst, dann gehst du besser oder schlechter aus ihr hervor, aber bleibst nicht derselbe.“ Gerade in der beschriebenen Krisensituation, so zeigte sich der Papst damals überzeugt, ist der synodale Ansatz „etwas, das unsere Welt jetzt dringend braucht“: „Anstatt die Konfrontation zu suchen oder den Krieg zu erklären, wobei jede Seite auf den Sieg über die andere hofft, brauchen wir Prozesse, die es ermöglichen, Differenzen so auszudrücken, zu hören und reifen zu lassen, dass wir gemeinsam auf dem Weg sein können ohne das Bedürfnis, jemanden zu zerstören. Das ist harte Arbeit ...“
Prophetische Worte
Heute, fünf Jahre später, erhalten die Worte des Papstes angesichts der Kriege in der Ukraine und in Gaza sowie der globalen gesellschaftlichen Polarisierungen weltpolitisch einen nahezu prophetischen Klang. Doch hat der Prozess kirchlich geleistet, was er sollte? Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu klären, was Synodalität (abgeleitet vom griechischen syn-odos: „miteinander gehen“) überhaupt bedeutet. Im Verständnis des Papstes geht es dabei „weniger um das Herstellen von Einigkeit“ als „um das Erkennen, Respektieren und Versöhnen von Unterschieden auf einer höheren Ebene, wo das Beste von allem behalten werden kann“.
Dass zentrale Themen und Unterschiede in dem dreijährigen Prozess tatsächlich erkannt und benannt wurden, zeigen die zahlreichen (Arbeits-)Dokumente, die auf der Basis weltweiter Konsultationen erstellt wurden. „Heiße Eisen“ werden offen benannt, nicht mehr unter den Tisch gekehrt und dadurch besprech- und bearbeitbar gemacht. Was das Respektieren und Versöhnen der Unterschiede auf einer höheren Ebene betrifft, stecken wir wohl aktuell noch mitten in einem Lern- und Entwicklungsprozess mit offenem Ausgang. Denn dieser ist, wie alle Veränderungsprozesse, nicht ohne Gegenwind. Potenziell bedroht sehe ich ihn von zwei Seiten: einerseits von jenen, die keinen Kulturwandel wollen, und andererseits von jenen, die enttäuscht sind, weil der Wandel nicht schneller vor sich geht. Beide neigen dazu, den synodalen Prozess ad acta legen zu wollen oder als gescheitert abzutun.
"Dass die Phase der Umsetzung von Synodalität nun strukturiert angelegt wird, zeigt, dass es Papst Franziskus ernst meint mit dem
Kulturwandel in der Kirche."
Versöhnung in der Differenz
Doch es gibt auch Rückenwind: Gerade die angesprochenen besorgniserregenden gesellschaftspolitischen Entwicklungen machen deutlich, dass sich die von Franziskus 2020 beschriebene Krisensituation in vielerlei Hinsicht noch zugespitzt hat und wir als Menschheit vor großen Herausforderungen und Lernaufgaben stehen. Hier könnte sich der synodale Lernweg, dem es darum geht, über ideologische Gräben hinweg Strukturen und Prozesse gegenseitigen Zuhörens zu schaffen und aufrechtzuerhalten und so „Versöhnung in der Differenz“ zu ermöglichen, als zukunftsweisender Beitrag der Kirche für eine taumelnde Welt erweisen.
Aufwind erhält der Prozess durch jene, die Erfahrungen mit der synodalen Methode und Haltung machen und erkennen, dass hier tatsächlich etwas Neues wachsen kann. Das geschieht, wenn und insofern Synodalität als spirituelle Haltung eingeübt wird: wenn Zeit und Raum geschaffen werden für das achtsame Hören auf den Geist Gottes, der „durch jeden und in allen Dingen spricht“ (SB 43), wenn „das Hören auf das Wort Gottes, Kontemplation, Stille und Bekehrung des Herzens [verstanden als Umwendung und Neuausrichtung, PSP]“ (SB 43) nicht als „frommes Beiwerk“ abgetan werden, sondern als wesentliche Aspekte von Entscheidungs- und Transformationsprozessen gelebt werden. Dafür braucht es „Begleitung und Unterstützung, einschließlich Ausbildung und geistlicher Leitung, sowohl als Einzelpersonen als auch als Gemeinschaft“ (SB 43) .
Was zu tun bleibt
Konkret wird es in den nächsten Monaten darum gehen, in den Ortskirchen und Gemeinden Prozesse zu initiieren und zu begleiten, die verbindliche synodale Strukturen und Haltungen fördern – und das auf allen Ebenen. Das Schlussdokument der Weltsynode 2024 benennt dafür einige zentrale Eckpunkte wie Umkehr (im Sinne einer synodalen Neuausrichtung), heilsame Dezentralisierung (und damit mehr Verantwortung und Gestaltungsspielraum für die Ortskirchen), Bedeutung von Beziehungen (auf Augenhöhe), Partizipation (im Sinne einer möglichst breiten Beteiligung), Transparenz, Rechenschaftspflicht und Evaluierung getroffener Entscheidungen.
In Österreich sind alle Diözesen und kirchlichen Einrichtungen eingeladen und von Papst Franziskus aufgerufen, „die maßgeblichen Hinweise des Dokuments in den jeweiligen Kontexten umzusetzen, durch Prozesse des Unterscheidens und Entscheidens“ mit dem Ziel, die Kirche immer stärker und erkennbarer zu einem Netzwerk von Beziehungen zu machen, „das prophetisch eine Kultur der Begegnung, der sozialen Gerechtigkeit, der Inklusion der Ausgegrenzten, der Gemeinschaft unter den Völkern und der Sorge für die Erde, unser gemeinsames Zuhause, verbreitet und fördert“ (SB 121).
Dass diese Phase der Umsetzung nun ebenfalls als mehrjähriger strukturierter und verbindlicher Prozess auf weltkirchlicher Ebene angelegt wird, der nationale und internationale Evaluierungsversammlungen und kontinentale Bewertungsversammlungen umfasst und im Oktober 2028 in eine kirchliche Versammlung im Vatikan münden wird, zeigt, dass es Papst Franziskus ernst meint mit dem Kulturwandel in der Kirche. Und dass er – gerade auch angesichts des auftretenden Gegenwinds – mehr darauf abzielt, „Prozesse in Gang zu setzen, statt Räume zu besitzen“ (EG 223).
Petra Steinmair-Pösel
ist Professorin für Sozialethik und Spiritualität an der KPH Edith Stein und Mitglied des österreichischen Synodenteams.