Mag. Lukas Cioni
Redaktionsleiter / Chef vom Dienst
miteinander-Magazin
Stephansplatz 6
1010 Wien
Tel.: +43 1 516 11-1500
Sie haben eine neue Adresse? Schreiben Sie uns hier oder rufen uns unter DW 1504 an.
Frau Dr. Birnbaum, in Kürze gehen die drei „Jahre der Bibel“ zu Ende. Warum braucht die Bibel diese „Werbung“?
Das liegt daran, dass wir katholisch sind. (Lacht) Das wäre bei unseren protestantischen Glaubenskolleginnen und -kollegen nicht unbedingt so notwendig wie bei uns. Es würde niemand in der katholischen Kirche sagen: Bibel ist wurscht. Aber de facto gibt es da noch Luft nach oben. Solange in manchen Ländern dieser Welt Menschen als Krypto-Protestanten bezeichnet werden, weil sie sich als Katholiken für die Bibel interessieren, so lange sehe ich da noch Aufholbedarf.
Ist die Bibel heute noch das Buch der Bücher?
Also rein von der Auflage her ist es tatsächlich das Buch der Bücher. Es gibt kein Buch, das so oft aufgelegt wurde, das in so viele Sprachen übersetzt und so oft verkauft wurde. Sicher ist es auch das meistrezipierte Buch. Und ich würde sagen, dass gerade das Zeitlose der Bibel sie so aktuell macht. Von ihrer Wirkung her hat sie einfach schon so viele Menschen geprägt, verärgert, irritiert, verstört, aber natürlich auch begeistert. Es gibt in der Bibel so viele Themen, die auf die Grundfragen der Menschheit abzielen. Oft sind in einer Erzählung 500 Jahre Erfahrung konzentriert. Dadurch haben die Themen auch für heute Relevanz, weil auch heute noch Kriege im Namen Gottes geführt werden und der Mensch immer noch ein schwieriges Verhältnis zu Gott, den Mitmenschen und der Schöpfung hat. Dieses Zeitlose hebt die Bibel ab von den vielen anderen Büchern. Und wenn wir sagen, die Bibel ist „Gottes Wort im Menschenwort“, sagen wir damit, dass Gott und Mensch zusammen an diesem Buch gewirkt haben, und schon das zeigt die enorme Dynamik der Bibel, die unsere ebenso dynamische Gott-Mensch-Beziehung widerspiegelt.
Was können wir denn heute aus der Bibel konkret lernen?
Das Aktuellste, das wir für heute aus der Bibel lernen können, ist, pluralitätstauglich zu werden. Jede wichtige Geschichte in der Bibel kommt immer mindestens zweimal vor und meist stimmen die beiden Versionen nicht überein oder widersprechen sich sogar. Das finde ich wirklich spannend, weil man dadurch von der Bibel lernt, wichtige Themen wie die Frage nach dem Leid Unschuldiger oder die Frage nach der richtigen Herrschaftsform aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.
Diese Offenheit, kann das nicht auch eine Schwäche sein, wenn sich etwa bei Kontroversen beide Seiten auf die Bibel berufen können?
Eigentlich ist genau das die Stärke, weil sonst könnte sie nie aktuell bleiben, wenn sie nicht Für und Wider abwägt, dann wäre sie bei manchen Themen einfach tot. Einzelne Verse als Argumente zu verwenden, das ist das wirkliche Problem. Wenn ich den Glauben mit unserer Zeit zusammendenke, kann ich entscheiden, welche Ansichten der Bibel jetzt für uns die wichtigen sind, und kann verantwortungsvoll nach Antworten für die Zeit heute suchen. Viele hätten natürlich gern die schnellen Antworten. Aber die Bibel ist kein Nachschlagewerk, sondern ringt um Antworten auf die großen Lebensfragen.
Hat die Bibel als geschriebener Text eine Zukunft in einer Welt von Tik-Tok-Videos und Twitter-Nachrichten?
Wahrscheinlich muss man manche Menschen über solche Tools erst wieder dazu bekommen, dass sie überhaupt zu einem Buch greifen. Und die Bibel ist von ihrer Sprache her schon so bilderreich, also kann man viele biblische Botschaften auch über Bilder transportieren, etwa auch auf Instagram. So kann man auch Geschmack auf die Bibel machen. Ein Schlüssel zum Geheimnis wäre auch, dass die Leute nicht immer glauben, sie müssen die Bibel wie einen Roman von Anfang bis Ende lesen. Man kann sie also ermutigen, sich lieber kleine Häppchen aus der Bibel zu nehmen und die langsam und bewusst zu verinnerlichen. Das passt dann auch in einen Tweet beispielsweise. Aber dann sollte man nicht bei diesen Ausschnitten stehen bleiben. Um den Einstieg zu erleichtern, könnten in Bibelausgaben etwa Kurzkommentare helfen, damit die Leserinnen und Leser schneller wissen, was in einem bestimmten Buch drinsteht, und einen Überblick bekommen.
Bietet die Bibel für jemanden wie Sie als Direktorin des Bibelwerkes auch noch Überraschendes?
Ich entdecke eigentlich jeden Tag etwas Neues in der Bibel. Auf der Uni habe ich zum Buch Jona ein Proseminar vier Mal direkt hintereinander angeboten. Mit seinen vier Kapiteln ist es jetzt nicht wahnsinnig lang, aber ich war wirklich erstaunt, dass ich jedes Mal wieder etwas Neues entdecken konnte. Papst Gregor VI. hat schon gesagt: Die Schrift wächst mit dem Lesenden. Und es ist wirklich so. Man wird nicht fertig damit und ich bin überzeugt, es lohnt sich, es immer wieder aufs Neue zu versuchen und in die Bibel einzutauchen.
Jahre der Bibel
Jahre der Bibel
Unter dem Motto „BIBEL – Hören. Lesen. Leben“ hat das Österreichische Katholische Bibelwerk im Auftrag der Bischofskonferenz drei „Jahre der Bibel“ ausgerufen und ein dichtes Programm zusammengestellt. Die Jahre enden am 3. Oktober mit einer eigenen „Bibel-Fest-Woche“. Ziel ist es, die ganze Breite und Vielfalt der Bibel für heute sichtbar zu machen.