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Vergiss es (nicht)!

Diagnose Demenz: Leben im Fragment

Die Diagnose Demenz ist für Betroffene wie für Angehörige ein harter Schlag. Wie damit umgehen, wenn ein Mensch langsam „verschwindet“?

 

 

 

Mens, mentis: Im Latein-Wörterbuch finden sich eine Reihe von Bedeutungen für dieses Wort. Denkvermögen, Verstand, Überlegung, Einsicht, Besinnung, Gesinnung, Charakter, Gewissen, Mut, Leidenschaft. Im übertragenen Sinn wird es auch für Seele und Geist verwendet. In einem Demenz-Prozess gehen über einen oft langen Zeitraum immer mehr der hier benannten menschlichen Fähigkeiten verloren. Das wird mit dem Begriff Demenz recht treffend beschrieben. Dieser Vorgang ist sehr schmerzlich für den Menschen, den er betrifft, und für alle, die ihn oder sie lieben.

 

Seit Jahren ist Demenz ein öffentliches Thema, das für Katastrophenmeldungen gut ist, wenn über steigende Fallzahlen und explodierende Kosten gesprochen wird, aber auch wenn tragische Schicksale öffentlich breitgetreten werden. Dagegen hat sich eine Bewegung gebildet, die seriös über das Thema und die Möglichkeiten eines positiven Umgangs damit informieren möchte und für bessere Lebensmöglichkeiten für Betroffene kämpft. An dieser Bewegung beteiligt sind viele (Selbsthilfe-)Gruppen und Personen. Es wird geforscht und um die richtigen Konzepte gestritten und auch für die Kirchen ist Demenz ein Thema geworden.

 

„Demenzfreundliche Bezirke“

Vor bald zehn Jahren konnte ich in Berlin das „Geistliche Zentrum für Menschen und Demenz und ihre Angehörigen“ besuchen, wo damals schon neben zahlreichen anderen Aktivitäten „Gottesdienste für Menschen mit Demenz, deren Angehörige und die ganze Gemeinde“ gefeiert wurden. Und zwar nicht irgendwann unter der Woche, sondern im Rahmen des Hauptgottesdienstes der Gemeinde am Sonntag. Die CS Caritas Socialis hat in Wien mit einem engagierten Demenz-Projekt den Anstoß zur Initiative „demenzfreundliche Bezirke“ gegeben. Begonnen hat es im 3. Bezirk. Jetzt haben sich auch im 9., 13. und 23. Bezirk verschiedenste Akteure aus Politik, Zivilgesellschaft und Kirchen dem Anliegen angeschlossen.

 

Eine Besonderheit, von der ich bei meinem Besuch in Berlin erfahren habe, war, dass die Gottesdienste nicht auf Initiative der (evangelischen) Kirche entstanden sind, sondern angeregt wurden aus Kreisen der Hauskrankenpflege, wo aufgefallen ist, wie schmerzlich für viele alte Menschen der Verlust ihrer Verbindung zur Kirchengemeinde ist. Dieser von außen kommende Impuls macht deutlich, wie zentral das Thema für eine Kirche ist, die von sich sagt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ (Gaudium et Spes 1)

 

Leben in Zerbrechlichkeit

Das ernst zu nehmen, macht es notwendig, Menschen mit Demenz und ihre Familien nicht an den Rand zu drängen, sondern in die Mitte zu holen. Und das bedeutet auch, sie nicht als bemitleidenswert zu stigmatisieren, sondern auch danach zu fragen, was sie der Kirche und unserer Gesellschaft zu sagen haben. Menschen mit Demenz helfen, Mensch-Sein in seiner fundamentalen Zerbrechlichkeit zu verstehen und auch den Gott, der sich zerbrechen lässt am Kreuz und im gebrochenen Brot zerbrechliche Gegenwart wird.

 

Im Buch des österreichischen Autors Arno Geigers über seinen Vater, „Der alte König in seinem Exil“, gibt es einen Abschnitt über den Wunsch, den sein Vater, wie viele an Demenz Leidende, immer wieder äußert: „Ich will nach Hause!“ Am Schluss dieses wunderbaren, teils humorvollen Abschnitts zeigt Geiger, wie Menschen mit Demenz, die vieles verloren haben, oft die Fähigkeit gewinnen, Wesentliches ganz tief zu empfinden und auszudrücken: „Spontan vollzog der Vater, was die Menschheit vollzogen hatte: Als Heilmittel gegen ein erschreckendes, nicht zu enträtselndes Leben hatte er einen Ort bezeichnet, an dem Geborgenheit möglich würde, wenn er ihn erreichte. Diesen Ort des Trostes nannte der Vater Zuhause, der Gläubige nennt ihn Himmelreich.“ (S. 56)

 

 

Franz Josef Zessner-Spitzenberg

 

 

Dr. Franz Zessner ist Seelsorger und Leiter der Sozial-Pastoralen Dienste der Caritas Socialis in Wien.

 

 

 

 

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2017 | Ausgabe November/Dezember 2017

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