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Von P. Andreas Batlogg
Hier geht einer/eine ganz und gar auf in dem, was er/sie macht. Von „Berufung“ ist auch die Rede, wenn jemand auf einen Lehrstuhl berufen wird und eine Professur annimmt oder wenn jemand in ein Dienstverhältnis eintritt.
Im kirchlichen und religiösen Umfeld meint „Berufung“, dass jemand „einen inneren Ruf“ verspürt. Um als Priester oder als Ordensfrau oder Ordensmann Nachfolge Jesu zu leben. Wir beten um „Priesterberufungen“. Wir wünschen uns, dass sich Frauen und Männer für einen Orden entscheiden. Aber was, um ein Problem zu benennen, das wir nicht ausklammern können, wenn eine Frau sagt: Ich fühle mich zur Priesterin berufen? Nach jetzigem Stand hat sie dann, jedenfalls in der römisch-katholischen Kirche, das falsche Geschlecht. Denn geweiht werden kann nach geltendem Kirchenrecht (CIC/1983 Can. 1024) nur ein getaufter Mann. Vor vierzig Jahren hat mich das nicht gestört, ja nicht einmal beschäftigt. Mittlerweile werde ich nachdenklich – was auch immer die Erklärung „Inter insigniores“ der damaligen Glaubenskongregation von 1976 oder die Enzyklika „Ordinatio sacerdotalis“ (1994) von Johannes Paul II. sagt. Denn wer bestimmt: „Die Kirche hat von Christus her nicht das Recht, Frauen zu weihen.“ Woher weiß sie das? Was heißt da: „Tradition“?
Lass es mich spüren
Michael Seewald, der im Westfälischen Münster systematische Theologie lehrt und im März 2025 den höchstdotierten Forschungspreis Deutschlands, den Leibnizpreis, erhielt, spricht von „Innovationsverschleierung“ als „bewährter Modus der Lehrentwicklung, weil für die Kirche jegliche Diskontinuität unter Verdacht steht, eine Abweichung von der altbewährten Wahrheit zu sein. Ein Bruch mit der Tradition wird deshalb nicht als solcher gekennzeichnet.“ Befragt, warum er nicht nur Wissenschaftler geworden ist, sondern auch Priester, meinte Seewald: „Ich habe keine andere Erklärung, als dass es mich gereizt hat. Ich brauche kein Amtspathos, das in frömmelnden Berufungserlebnissen gründet.“ Auch der langjährige Vorarlberger Caritasseelsorger Elmar Simma meinte in seinem Buch „Dem Weg vertrauen“ (2024): „Ich hatte kein besonderes religiöses Erlebnis, spürte auch keinen Anruf von oben. Ich dachte nur: 'Guter Gott, wenn es dein Wille ist, dass ich Priester werde, dann lass es mich spüren.'“ Um dann zu resümieren – denn auch Medizin hatte ihn gereizt: „Rückblickend nach fast sechzig Jahren denke ich, dass es doch die richtige Wahl war. Die Frage, ob ein anderer Beruf besser gewesen wäre, bleibt natürlich unbeantwortet.“
Zum Jesuit berufen
„Berufung“: Papst Franziskus (1936–2025) machte als junger Mann eine Ausbildung zum Chemielaboranten. Als Kind hat er für eine gewisse Amalia Damonte geschwärmt, wie er in seiner 2025 erschienenen Autobiografie „Hoffe“ verriet: „Dich oder keine!“ schrieb er ihr und malte ein Haus, das er seiner Angebeteten kaufen wollte, wenn sie ihn „erhört“. Als junger Mann schwärmte er dann für ein Mädchen, mit dem er tanzen ging. Der Weg als Ehemann und Familienvater schien vorgezeichnet. Aber im September 1956 trat Jorge Mario Bergoglio ins Priesterseminar, das Seminario Metropolitano von Buenos Aires, ein. Am 21. März 1958, mit 21, wurde er Jesuit. Seine Ausbildung dauert dreizehn Jahre, bis 1971. Wie kam es dazu?
In allen autobiografischen Mitteilungen ist vom 21. September 1953 die Rede, in Argentinien ein Feiertag: El Día de La Primavera. Jorge Mario wollte sich mit Freunden am Bahnhof treffen. Dabei kam er an der Kirche San José vorbei, „und da hatte ich plötzlich das Gefühl, jemand habe mich gerufen. Oder vielmehr: Ich habe etwas gespürt, was mich dort eintreten ließ.“ Er ging beichten: „Tatsache ist, dass ich aus dem Beichtstuhl heraustrat und nicht mehr derselbe Mensch war wie vorher. Und plötzlich wusste ich, dass ich Priester werden würde.“ Das klingt merkwürdig, zumal für einen 17-jährigen. Man liest weiter: „Aber es ist nicht so, dass ich an jenem Septembertag wie vom Blitz getroffen wurde, von etwas, das ein für alle Mal keine Zweifel aufkommen ließ. Es war vielmehr ein Gedanke, der einen bestimmte, dann aber wieder verschwand, um später wiederzukehren.“
Im Priesterseminar besuchte ihn seine Mutter nie. Sie sah ihren Sohn als Arzt und wünschte sich für ihn, anders als die Oma Rosa, deren Sterbebildchen der Papst heute noch in seinem Brevier mit sich führt, eine Frau und Enkelkinder. Es dauerte, bis sich die Mama abfand mit der Berufswahl. Immerhin hat sie zusammen mit ihrem Mann den Sohn im März 1958 ins Noviziat in Córdoba, der zweigrößten Stadt Argentiniens, begleitet. Und merkte später: Der Jesuitenorden ist der richtige Ort für meinen Ältesten.
Harte Worte gegen „Staatskleriker“
Dass einer, der Novizenmeister und Provinzial war, Rektor, Professor und Pfarrer, Beichtvater und Seelsorger, später Bischof und Kardinal, über Berufung nachdenkt, liegt auf der Hand. Als Papst erst recht. 2018 erschien die Originalausgabe des im selben Jahr auf Deutsch erschienenen Buches „Die Kraft der Berufung“: ein mehrstündiges, sehr offenes Gespräch mit dem spanischen Claretinerpater Fernando Prado. Bekannt ist, dass Franziskus gegen Klerikalismus allergisch war. Priester oder Ordenschrist sein und dabei an Karriere denken – das war ihm zuwider. Seine Weihnachtsansprache an die Römische Kurie von 2014, in der er fünfzehn Krankheiten und Versuchungen auflistete, wurde legendär („Planungswut“, „geistlicher Alzheimer“, „existenzielle Schizophrenie“, „Karrierismus und Opportunismus“, „Totengräbermiene“). Dass er harte Worte gegen „Staatskleriker“ fand, die er als „seelenlose Beamte“ empfand und kritisierte. Auch Bischöfen legte er nahe, echte Hirten und keine (Barock-)Fürsten zu sein („pastori non principi“).
Franziskus schätzte akademische Qualifikationen. Noch mehr aber kam es ihm auf Leidenschaft an: Wofür brenne ich? Für wen gehe ich? Mit „Ideologisierungen“ des geistlichen Lebens, bloßer Rhetorik und frommen Phrasen konnte er nichts anfangen. Er warnte davor – sich in Illusionen zu verlieren. „Helden des Alltags“, „Heilige von nebenan“ imponierten ihm: Missionarinnen und Missionare, die ihr ganzes Leben den Armen widmeten. Eine Schwester Geneviève Jeanningros von den Kleinen Schwestern, die seit fast fünfzig Jahren in einem Campingwagen im Luna Park in Ostia bei Rom lebt und mit Roma und Sinti arbeitet; zwei Mal besuchte er sie dort.
Echtheit und Authentizität
Vorbilder aus dem Jesuitenorden waren ihm, neben Ignatius von Loyola († 1556), vor allem Peter Faber († 1546), ein Mystiker und sensibler Weggefährte von Ignatius, und der Generalobere Pedro Arrupe († 1991), der ihn zum Provinzial der argentinischen Jesuitenprovinz (1973–1979) machte. Echtheit, Authentizität, die Gabe der Unterscheidung, Christusverbundenheit – das waren für Franziskus Berufungskriterien. Demut auch, Selbstlosigkeit, Herz und ein gewisser nüchterner Realitätssinn: „Es tut uns gut zu wissen, dass wir nicht der Messias sind. Diese Art von 'Rettern' macht mich eher misstrauisch. Das ist nicht die Fruchtbarkeit des Evangeliums“, steckte er Fernando Prado. Wer Angst vor der „Welt“ hat, sich in einem Kloster verstecken will, kein Risiko einzugehen bereit ist, taugt nicht. Nicht jeder kann das. Aber es lässt sich lernen und einüben. Und das ist etwas anderes als „Perfektion“. „Nachfolge“, Ordensexistenz garantiert kein ruhiges, abgesichertes Leben – und schon gar keine „Lebensplanung“ nach eigenem Geschmack. Ein anderer sendet. Einer, der ruft, der diesen Weg mitgeht. Auch in dunklen Zeiten. Zweifel und Krisen gehören dazu. Wer keine Fragen hat, macht sich verdächtig, denn selten verläuft ein Leben in der Nachfolge Jesu glatt.
Wer die jährlichen Botschaften von Franziskus zum Welttag der geistlichen Berufungen nachliest (die von 2025 unterschrieb er in der Gemelli-Klinik) – es waren insgesamt zwölf seit 2014 –, spürt: Hier wirbt einer für geistliche Berufe, dem es vor allem auf die missionarische Haltung ankam, auf eine „Exodus-Dynamik“. Dabei war ihm klar: Nur Betende, mit Jesus Christus verbundene Menschen, können glaubwürdige Zeugen der Frohen Botschaft sein. Alles andere ist vielleicht professionell, aber kalt.
Der richtige Kurs
Priestern und Ordensleuten als „Pilger der Hoffnung“ (2024) riet Franziskus 2020: „Den richtigen Kurs zu halten ist nicht eine Aufgabe, die nur unseren Kräften anvertraut ist, noch hängt es allein von den von uns gewählten Wegen ab. Die Verwirklichung unserer selbst und unserer Lebenspläne ist nicht das mathematische Ergebnis dessen, was wir in einem abgeschotteten ,Ich‘ beschlossen haben; vielmehr handelt es sich zuallererst um die Antwort auf einen Ruf, der von oben an uns ergeht. Der Herr nämlich zeigt uns das Ufer, an das wir fahren sollen, und schenkt uns zuvor den Mut, ins Boot zu steigen; während er uns ruft, macht er sich schon zu unserem Steuermann, um uns zu begleiten, um uns die Richtung zu weisen, um zu verhindern, dass wir an den Klippen der Unentschlossenheit stranden, und um uns zu befähigen, sogar über das aufgewühlte Wasser zu gehen.“
P. Andreas Batlogg, Dr. theol.,
geboren am 4. Oktober 1962 in Vorarlberg, ist ein österreichischer Theologe, Jesuit und ehemaliger Chefredakteur der Stimmen der Zeit.